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BESATZUNG FÜR GENTRIFIZIERUNG

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  • May 03 2023
  • Simin Jawabreh
    (@siminjawa) ist als Kommunistin in antirassistischen Bewegungen aktiv. In ihrer politischen, bildungs- wie journalistischen Arbeit legt sie einen Fokus auf Dekolonialismus, Marxismus und Sicherheit.

Die Berliner Polizei erlebt derzeit einen Ausbau und eine nie dagewesene Militarisierung. Das reicht von verkehrsunabhängigen Kontrollen mit Maschinengewehren auf der Sonnenallee im Februar 2022 über 237 Razzien in Berliner Shisha-Bars innerhalb von zehn Monaten des Vorjahres bis hin zu mobilen Polizeiwachen am Görlitzer Bahnhof und Görlitzer Park.

 

AUFRÜSTUNG und MILITARISIERUNG

Nach monatelangem Protest gibt es in Berlin-Kreuzberg nun eine neue Polizeiwache. Durchgesetzt hat sie Innensenatorin Iris Spranger (SPD). Während zuvor 250.000 Euro eingeplant waren, wurde im Haushalt nun das fünfzehnfache veranschlagt: 3,75 Millionen Euro. Dieses Aufstocken der Kosten für die neue Polizeiwache geschah jedoch nicht im luftleeren Raum, sondern gleichzeitig mit der historischen Aufrüstung des Bundeswehr-Budgets um 100 Milliarden Euro. Das Budget der Berliner Polizei stieg im Zuge dessen rapide und macht inzwischen allein 5,7 Prozent des Landeshaushalts aus – ein Anstieg von 54 Prozent im Vergleich zu 2010. Die Aufrüstung der Bundeswehr schlägt also ins Inland zurück. In Zeiten einer eruptierenden ökonomischen Krise fordert die Absicherung der Staatsmacht also einen neuen Autoritarismus, der Dinge „an ihrem Platz“ halten und Protest bereits im Vorfeld vereiteln soll.

Als Reaktion auf den russischen Invasionskrieg in der Ukraine hat die damalige Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD), eine Parteikollegin von Iris Spranger, ebenso den Aufbau eines neuen Führungskommandos der Bundeswehr in Berlin angeordnet. Damit soll die Truppe im Inland schneller einsatzbereit sein. Die im Zuge der ökonomischen Krise entstehende Angst vor Protest und Plünderungen steigt auf Seite der Regierungsvertretenden spürbar. So veranstaltet die Berliner Polizei inzwischen „Black-Out“-Trainings. Das heißt: Falls es zu längeren Stromausfällen oder Unterbrechungen der Wärmeversorgung kommt, wird mit Unruhen gerechnet, die es zu bekämpfen gilt. Die möglichen Unruhen verortet die Berliner Polizei am Kottbusser Tor. Auch wenn ein Black-Out-Szenario einen sogenannten „Ausnahmezustand“ beschreibt, werden gelernte „Ausnahmezustände“ der Polizei in ihrer Praxis früher oder später zur Regel. So war die als ehemals absolute Ausnahme gegründete Anti-Terror-Einheit, das SEK, allein im vergangenen Jahr in Berlin 500 Mal im Einsatz.

 

BESATZUNG für GENTRIFIZIERUNG

Zuvor als bürgernahes Projekt propagiert, weist die Symbolik der Eröffnungsfeier der Polizeiwache am Kottbusser Tor auf einen anderen Weg hin: Hamburger Gitter am ganzen Platz, 350 Polizist:innen und bewaffnete Beamt:innen der Spezialeinheit, die auf den Dächern des Hochhausblocks posierten, waren zur Absicherung im Dienst und versetzen unser Kottbusser Tor in einen regelrechten Besatzungszustand. Die neue Wache thront nun im ehemaligen NKZ über uns und ermöglicht einen permanenten Zustand der Sichtbarkei. Anders als zuvor zugesichert, weist die neu eröffnete Polizeiwache nun auch Gewahrsamsräume auf. 

Die Polizeiwache am Kottbusser Tor wird mit einem „Sicherheitsgefühl“ gerechtfertigt, wobei ungeklärt bleibt, um wessen Gefühle es sich handelt. Das Gebiet in Berlin-Kreuzberg ist  schon länger das Ziel von Gentrifizierungsplänen, wie sie in anderen Teilen des Bezirkes bereits fruchten. Die Rechnung ist einfach: Der permanente polizeiliche Sichtbarkeitszustand führt zu mehr Kontrollen, Schikanen und dadurch zu Verdrängung und soll so „Aufwertungen“ mobilisieren. Die Glücksgefühle der Investor:innen steigen.  Nicht verwunderlich ist es, dass Innensenatorin Iris Spranger daher zum Zelebrieren ihrer „sicherheitspolitischen“ Pläne zu einem Luxusdinner  einlud und bei den „Berliner Wirtschaftsgesprächen“ zur Polizeiwache referierte.  

 

MORALISCHE PANIK

Moralisch legitimiert werden die Aufrüstungsprojekte und der zunehmende Ausbau der Law-and-Order -Mentalität mit dezidiert gesetzter moralischer Panik. Auch die rassistische Hetze in Folge von Ausschreitungen in der Silvesternacht müssen in dieser Hinsicht gelesen werden. Weder wurden im Verhältnis zu den Vorjahren mehr Ausschreitungen registriert, noch handelte es sich um eine ausdrücklich  migrantische Klientel, wurde letzterem medial ein unbegrenztes Gefahrenpotential zugeschrieben, dass es zu regulieren gelte. Auch wenn die Zahlen inzwischen die rassistischen Zuschreibungen widerlegt haben: die Law-and-Order-Politiken bleiben. 

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  • IMAGE CREDITS

     

    Am 15. Februar wurde die neue Polizei-Wache am Kottbusser Tor eröffnet. Foto: IMAGO / Jochen Eckel.

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