Kunstmuseen waren und sind noch immer weiße Orte. Der Anteil der (post) migrantischen Bevölkerung spiegelt sich nicht in ihrer Besuchendenschaft und dem Personal wieder. Das ist u.a. in ihrer Entstehungsgeschichte begründet. Sie waren Prestigeprojekte des Bürgertums im 19.Jahrhundert und agierten mit Wissens- und Wertesystemen einer homogenen weißen Gemeinschaft.
Die deutsche Gesellschaft hat sich nach dem Kolonialismus und Nationalsozialismus (wieder) demokratisiert und diversifiziert. Doch verstand sie sich, entgegnen der Realität, lange nicht als Einwanderungsland; verdrängte die eigene koloniale Vergangenheit und deren Erbe und Effekte für die Gegenwart.
Man darf in diesem Zusammenhang nicht vergessen, dass Museen, im Gegensatz zu Off Spaces und Vereinen, mit hohen Summen von Steuergeldern kontinuierlich gefördert werden. Demnach gilt es vermehrt hochwertige Programme zu konzipieren, die nicht nur für ein akademisches mehrheitsdeutsches Publikum, sondern für unterschiedlichste Bevölkerungsteile interessant sind, ihre Perspektiven wiedergeben und diveristätsorientiert gestaltet sind.
Die Notwendigkeit der Veränderung wurde seitens der Politik u.a. durch den Druck von Migrant*innenselbtsorganisationen und Wissenschaftler*innen erkannt.
Die Erkenntnis mündete 2018/19 in einem in Europa bisher einmaligen Diversitätsprogramm mit einem Fördervolumen von 17 Millionen Euro: dem Programm 360° – Fonds für Kulturen der neuen Stadtgesellschaft der Kulturstiftung des Bundes zur diversitätsorientierten Öffnung von Kultureinrichtungen, kurz »360°-Programm«. [1]
Der Begriff Diversität bezieht sich dabei auf das Merkmal Herkunft.
Knapp 40 Kulturinstitutionen, darunter nur zwei Kunstmuseen, bekamen Fördergelder, um sog. Diversitätsagent*innen einzustellen, die von innen heraus mit den Hausleitungen einen diverstitätsorientierten Changeprozess in den Bereichen Personal, Publikum und Programm innerhalb von vier bis sechs Jahren realisieren sollten.
Was passiert mit der Institution, wenn jemand der*die innen ist, gleichzeitig einen Blick von außen hat? Wenn jemand, der*die den von der Förderer*in gegebenen Auftrag ernst nimmt, die Institution zu verändern, dies jedoch mit der Perspektive der Häuser clasht, lediglich zusätzliche Angebote zu machen?
Und was geschieht, wenn das „neue Publikum“, die sogenannten Communities (temporäre) Gäste und Kurator*innen werden?
Ich schreibe aus der Position einer dieser Diversitätsagent*innen heraus. Ich wurde Ende 2019 vom Museum der bildenden Künste Leipzig (MdbK) angestellt, um den Diversitätsprozess und dazugehörige Maßnahmen zu konzipieren und umzusetzen. Viele meiner Erfahrungen decken sich mit denen anderer Agent*innen, was durch eine Programm-Evaluation und unseren Austausch untereinander deutlich wurde.
Eine der Fragen, die mir häufig gestellt werden, ist, ob ich im Arbeitskontext persönlich Rassismus erlebe. Wenn das von Menschen ohne Rassismuserfahrung kommt, entlarvt das meines Erachtens nach, wie wenig diese Person über Rassismus weiß.
Im Kulturbetrieb ist offener Rassismus selten. Die dort Arbeitenden haben keine verfestigte rassistische Einstellung. Rassismus wird in diesem Kontext heutzutage immerhin als moralisch verwerflich angesehen, sodass er selten offen zutage tritt.
Was mich als migrantiserte Kollegin trifft, ist, wie Exotisierungen und Rassifizierungen unbemerkt in der Kommunikation z.B. in Künstler*innengesprächen untergehen, etwa in der Frage, zu welchem Kontinent sich jemand zugehörig fühle, obwohl die Person in einem europäischen Land aufwuchs und ihre Kunst solche Eindeutigkeiten und Zuschreibungen negiert.
Im MdbK war ich lange die einzige Angestellte of Colour. Kulturinstitutionen werden zum großen Teil von einer mehrheits(west-)deutschen, gesellschaftlich privilegierten Schicht getragen. Die aktuell in leitenden Positionen Tätigen haben aufgrund ihrer Biografien, ihrer Ausbildung und den bisherigen formalen Stellenanforderungen selten Wissen und Motivation zu rassismuskritischem Kuratieren sowie wenig Kontakte in (post-)migrantische Netzwerke. Da es um die kritische Betrachtung bisheriger Arbeitsweisen und Wertesysteme geht, kam und kommt es in vielen Häusern zur Abwehrhaltung gegenüber dem, was als Macht- bzw. Relevanzverlust wahrgenommen wird.
War ich anfangs unsicher, was es bedeutet, als Kultur- und Politikwissenschaftlerin in einem Kunstmuseum zu arbeiten, stellte sich mein Hintergrund bald als Vorteil heraus. Das Wissen um Marginalisierung und Machtstrukturen kann ein Analysetool sein, eines, mit dem sich Geschichten erzählen lassen, die dem Publikum wertvolle Erkenntnisse bringen. Es birgt die Chancen, Bruchlinien der Gesellschaft in einem eng begrenzten Feld zu aufzuzeigen, zu kitten und neue Fragen für die Forschung aufzuwerfen. Das ermöglicht die Erweiterung des Kanons und die überfällige Diversifizierung von Sammlungen. 2019, als ich die Stelle antrat, eröffnete “Point of no Return“, eine Ausstellung zu „Wende und Umbruch in der ostdeutschen Kunst”. Vertreten waren nur weiße deutsche Künstler*innen. Ich wusste jedoch: Die DDR hatte Wert auf internationale Solidarität und die Verbindung zu sogenannten Bruderländern gelegt, unterhielt diplomatische Beziehungen z.B. nach Kuba und Chile. Die transnationalen Aspekte der DDR-Kunstgeschichte wurden in der Ausstellung ausgeblendet, migrantische Künstler*innen marginalisiert. Diese Unsichtbarmachung gab es oft in der Geschichte, hier drohte erneut eine mehrheitsdeutsche Geschichtsschreibung. Ich fragte mich: Was war mit den Künstler*innen passiert, die aufgrund der Kulturdiplomatie an ostdeutschen Kunsthochschulen studiert hatten, bei denselben Professor*innen, wie die mehrheitsdeutschen Künstler*innen, deren Kunst nun im Fokus stand?
So entstand die Idee für „meine“ [2] Ausstellung “Re-Connect. Kunst und Kampf im Bruderland”, die zwischen Mai und September 2023 lief.
Im Ausstellungsteil Zwingende Geschichten wurden Positionen der oben beschriebenen Künstler*innen ausgestellt. Beteiligt waren acht Künstler*innen mit etwa 80 Gemälden, Arbeiten auf Papier und Videoarbeiten.
Der Ausstellungsteil Re-Connect #3 war der künstlerischen Nachwuchsförderung gewidmet. Die Diversität unserer Gesellschaft sollte sich im Programm des Museums widerspiegeln. Da dies in der Vergangenheit nicht immer der Fall gewesen war, gab es einen Open Call für BIPoC-Künstler*innen mit biografischen Bezügen zur DDR. Ein divers besetztes Juror*innenteam wählte vier Positionen aus.
Eine Auseinandersetzung mit dem historisch-politischen Kontext der DDR-Einwanderungspolitik erfolgte im Archiv der Erinnerung und Zukunft. Thematisiert wurden der tabuisierte Rassismus in der DDR sowie die Lebensverhältnisse der Vertragsarbeiter*innen, der ausländischen Studierenden und ihrer Nachfahr*innen. Das MdbK würdigte dabei die schon früh geleistete Arbeit von Migrant*innenselbstorganisationen für eine gesamtdeutsche Erinnerungskultur, wie die vom vietnamesischem Verein Reistrommel, und vermittelte diese Geschichte mittels von ihnen erarbeiteten Tafelausstellungen, sowie Audio- und Videodateien. Diese umfassten auch die Umbruchszeit der Jahre 1989/90, Resilienzgeschichten, das Aufwachsen als BIPoC in der sächsischen Provinz, der Umgang mit Rassismus und vieles andere mehr.
Kuratorisches Prinzip dieses Ausstellungsteils war es, das Publikum mit einem Zuviel des erwähnten Materials leicht zu überfordern, um zu zeigen, wie viel (post-)migrantische Aufarbeitung es gibt, die es kaum in die gesamtdeutsche Erinnerungskultur geschafft hat.
Ich verzichtete bewusst auf die kunstvermittlerische bzw. museale Methode des partizipativen Kuratierens, die im Zuge der Diversifizierung von Museen eine neue Konjuktur erfährt und bei dem vorliegenden Thema vielleicht als naheliegend erschienen wäre. Erstens sollte klar werden, dass die Erinnerungsarbeit längst ohne die „Hilfe“ von Kulturinstitutionen geleistet worden war. Um zweitens bei der partizipativen Bearbeitung sensibler Fragestellungen dem Thema und den beteiligten Menschen gerecht zu werden, benötigen Aushandlungsprozesse viel Zeit, Raum und personelle Ressourcen. Noch aber sind Museen wie das MdbK etwa durch die schnelle Abfolge von Ausstellungen und Projekten strukturell auf die Ergebnisproduktion und nicht auf Beziehungsarbeit ausgerichtet.
Die aktive Einbeziehung der (post-)migrantischen Stadtgesellschaft fand im Rahmenprogramm statt. Wir luden Vereine und Initiativen der älteren und jüngeren Generation ein, eigene Themen und Formate kuratorisch einzubringen. Insgesamt gab es regen Austausch, Momente der Ermächtigung und das Feedback, dass ein solches Programm und eine solche Ausstellung überfällig waren. Eklats und (intergenerationale) Auseinandersetzungen machten gesellschaftliche Konfliktlinien sichtbar, etwa in der Frage, ob es Zitate rassistischer Begriffe braucht, um die eigene Geschichte aufzuarbeiten. Das führte zum Rückzug einzelner Personen aus dem Programm.
Das MdbK als Institution konnte durch den Diversifizierungsprozess und die Ausstellung “Re-Connect” einen Beitrag dazu leisten, marginalisierte ostmigratische Kunst in ihrer Geschichte und Gegenwart zu repräsentieren und hat einen frühen Beitrag zur weiteren Erforschung gesamtdeutschen diverser Kunstgeschichte geleistet. Sie hat gezeigt, dass mit den entsprechenden Programmen ein neues, interessiertes Publikum erreicht werden kann. Das Kunstpublikum setzte sich mit marginalisierten Perspektiven auseinander und Menschen, die sich sonst nicht in besonderer Weise für Kunst interessieren, konnten erstmals eine geballte Ladung regionaler nicht-weißer Künstler*innen sehen. Der Archivraum ohne Kunst war ein Novum für das Museum, was den bisherigen Habitus des Hauses in Frage stellte. Er hat sowohl Menschen berühren können, die sich endlich repräsentiert sahen, als auch ehemalige DDR-Bürger*innen, die dankbar waren, neue Aspekte der DDR kennenzulernen. Es wurden überfällige gesellschaftliche Diskurse zur Erinnerungskultur geführt; die dabei aufgetretenen Konfliktlinien konnten nur mit hohem Aufwand und Einfühlungsvermögen bearbeitet und lediglich zum Teil gelöst werden. Diese Konflikte können je nach Bereitschaft und Ressourcen der Agierenden zu Learnings werden und zur Weiterentwicklung der Institution (sowie von Einzelpersonen) führen. Wenn sie, wie es oft geschieht, als Scheitern angesehen werden, vergeben sich Institutionen Lernchancen.
Kunstmuseen sind in ihren Programmierungen auf innovative Kräfte und das Wissen um den Zahn der Zeit angewiesen. Impulse kommt oft von künstlerischen und subkulturellen Rändern moderner Emanzipationsbewegungen, also aus feministischen, anti-rassistischen oder queeren Communities.
Die paternalistische Annahme, dass dies zur Kommodifizierung (oder besser: sozialen oder kulturellen Kapitalwerdung) der kulturellen und politischen Arbeit dieser Communities beiträgt, unterschlägt aus meiner persönlichen und fachlichen Perspektive, dass ebenjene Gemeinschaften auch ihre eigenen Interessen verfolgen und das Museum punktuell für sich nutzen. Initiativen, wie die aus dem Rahmenprogramm von “Re-Connect”, haben die Agency zu entscheiden, ob sie kooperieren möchten. Wie eingangs angeführt, ist es nur richtig, wenn Steuergelder dazu genutzt werden, verdrängte Anliegen und neue Impulse in den gesellschaftlichen Diskurs zu bringen und marginalisierte kulturelle Akteur*innen zu repräsentieren.
Wenn jedoch Ressourcen in ein Community-Projekt fließen und Hoffnung auf Wandel geweckt wird, danach aber keine Verstetigung in Form von regelmäßigen Maßnahmen wie Veranstaltungen und Ausstellungen stattfindet, wiederholt sich die Erfahrung, die viele migrantisierte Menschen machen: Sie werden geholt, wenn sie gebraucht werden, und fallen gelassen, wenn der Bedarf weg ist. (P)Ost- migrantische Perspektiven sind ein genuiner Teil der Gesellschaft und keine „besonderen Projekte“. Sie gehören in Programme implementiert und gemainstreamt und müssen sich vor allem im Personal wiederfinden. Hier braucht es mehr Engagement und Priorisierung.
Museen können also durchaus über ihren eigenen Tellerrand hinausschauen und damit für Innovation, mehr Teilhabe und Anerkennung von künstlerischen und Arbeitsleistungen sorgen, sie können gesamtgesellschaftlichen Zusammenhalt fördern und weiterhin Plattformen für Austausch und Inspiration sein. Nur bleibt es wichtig, an den einmal angestoßenen Öffnungsprozessen festzuhalten. Sie sind kein Trend, der von anderen wichtigen Themen wie Nachhaltigkeit; bzw. einem eventuellen/drohenden Rechtsruck abgelöst werden darf.
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