Martha Rosler gehört mit ihrem ästhetischen und sozialen Anspruch zu einer Generation von Künstler*innen, die ihr Werk in die Welt bringen, um sie nachhaltig zu verändern. Künstlerische Arbeit, aus der ein Werk wie das von Martha Rosler hervorgeht, ist Arbeit an der Gesellschaft und ihrer Konstitution, an den normativen und moralischen Vorgaben, an der „Mythologie des Alltags“, die das Leben der Individuen bestimmen. Themen wie sozialer Zusammenhalt, Resilienz gegenüber Gewalt und Krieg, Gerechtigkeit und Gleichberechtigung sowie die genaue Beobachtung gesellschaftlicher Zustände zeichnen die Arbeiten der US-amerikanischen Künstlerin seit den 1970er-Jahren aus. Die Rosler richtet ihren Blick über das eigene Umfeld hinaus auf die Funktion der Kunst in der Gesellschaft und auf den Einfluss der gegenwärtigen Konsumkultur auf die Konstruktion von Identität und Individualität. Ihre kritische, direkte und dabei poetische Art, mit Kunst gesellschaftliche Themen zu adressieren und die Ergebnisse ihrer Observationen in Formate wie Fotografie, Installationen oder Videos zu übertragen, ist vielseitig und beeindruckend. Sie selbst beschreibt ihre Arbeit als „post-dokumentarisch“, was der Absicht diene, „die vorherrschenden Praktiken der Repräsentation und Vertretung durcheinanderzubringen.“ Kunst kann bei Rosler agitatorisch sein oder essayistisch, sie ist für die Künstlerin ein Mittel, um das Politische und das Dokumentarische auf ungewohnte Weise zu verbinden. Rosler beobachtet und kommentiert mit ihrem Werk den Kampf der Individuen und ihrer Gemeinschaften um Identität, Selbstbehauptung, Rollenbilder, Sicherheit, Arbeit, Frieden und Freiheit.
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Ein Beispiel für diese Arbeitsweise ist die Fotomontageserie mit dem Titel House Beautiful: Bringing the War Home (ca. 1967-72), die zwei kontrastreiche, weit voneinander entfernte Orte zusammenbringt: das vertraute Zuhause und die Schrecken des Krieges, und die diesen Konflikthorizont in der ganzen Welt miteinander verbindet und beim Betrachter beunruhigende Reaktionen hervorruft. Vom Schauplatz des Krieges aus wandert der Blick in der Serie Body Beautiful, or Beauty Knows No Pain (ca. 1966–1972) auf den weiblichen Körper als ein weiteres Konfliktfeld. Es sind die zumeist maskulin geprägten Regime des Blicks, denen Martha Rosler ihre kritische Aufmerksamkeit zuwendet. Die Rolle der Frau in der – aus Roslers Perspektive westlichen – Gesellschaft und die ihr zugeschriebenen Stereotype bilden ein grundsätzliches Motiv der Auseinandersetzung für die Künstlerin. Ihre Kritik stellt die Binarität und Gender-Fixiertheit eines hegemonial beeinflussten Lebensentwurfs infrage. Ihre Rolle als Künstlerin sieht Rosler dort, wo sich das wahre Leben abspielt, nicht an den Grenzen der Abstraktion des gemalten Bildes, sondern an den Grenzen der Gesellschaft. Dafür hat die Künstlerin sich ästhetische Strategien angeeignet, mit denen sie dokumentarisch, verfremdend, situationistisch, parodistisch und letztlich widerständig gegen die Symbolik struktureller Macht und Gewalt ankämpft. Mit ihrem spitzfindigen Humor, mit den Mitteln der Ironie und in Gestalt serieller Kompositionen sowie auch durch begleitende eigene Texte lenkt Rosler die Betrachtung ihrer Werke.
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Dieser Text ist eine redaktionelle Bearbeitung eines längeren Profils der Schirn Kunsthalle Frankfurt, in der Martha Rosler ihre Einzelausstellung Martha Rosler. In one way of another vom 6. Juli - 24. September 2023 präsentiert. Zur Ausstellung erscheint ein Katalog im DCV Verlag, ISBN 978-3-96912-124-5.
- IMAGE CREDITS
Cover: Martha Rosler, Beauty Rest / Boys‘ Room / Playboy (On View) aus der Serie: House Beautiful: Bringing the War Home, ca. 1967–1972, Fotomontagen, Courtesy: The Artist, Galerie Nagel Draxler Berlin / Köln / München.
fig. 1: Martha Rosler, Lounging Woman, aus der Serie: House Beautiful: Bringing the War Home, new series, 2004, Fotomontage, The Artist, Galerie Nagel Draxler Berlin/Köln/München, Collection Fondation A Stichting.
fig. 2: Martha Rosler, Nature Girls (Jumping Janes) / Old Bride, or Bridal Party, Aus der Serie: Body Beautiful, or Beauty Knows No Pain, ca. 1966–1972, Fotomontagen, Courtesy: The Artist, Galerie Nagel, Draxler Berlin / Köln / München.