Für dieses Interview wurden die fünf Jurymitglieder des diesjährigen Project Space Festival gebeten, unabhängig voneinander Fragen zu formulieren, die dann von einem anderen Jurymitglied beantwortet wurden. Kate Brown, Kira Dell, Christopher Kline, Sakrowski und Laura Helena Wurth, die diesjährige Jury, haben alle schon einmal mit ihren Projekträumen am Project Space Festival teilgenommen, sodass der Auswahlprozess einer Peer Review gleichkam.
KB: Wie hat sich die Definition eines Projektraums verändert, seitdem ihr angefangen habt, einen zu betreiben?
KD: Wir haben unseren Projektraum im April 2021 in Berlin-Weißensee gestartet. Gewerberäume können kaum noch frei angemietet werden, dafür sind sie oft zu teuer, trotz viel Leerstand. Die Spontanität beim Projektraumstart geht damit verloren. Unser Raum wurde von der Kulturraum Berlin gGmbH ausgeschrieben und ist vom Senat ko-finanziert, sonst könnten wir ihn uns nicht leisten. Projekträume zeichnet weiterhin die Möglichkeit zum Experiment und zur kuratorischen Freiheit fernab festgelegter Institutionen aus. Das kollektive, non-hierarchische Arbeiten haben wir von älteren Räumen geerbt. Gleichzeitig mussten wir uns mit einem 3-Jahres-Konzept um unseren Raum bewerben. Die komplette Narrenfreiheit weicht einer Professionalisierung und schärferen Zielsetzung der Räume.
KD: Was war für dich die größte Herausforderung im Hinblick auf die Vielfalt der Räume?
CK: Ich habe die Vielfalt als gut empfunden, obwohl es eine Herausforderung war, nur eine bestimmte Anzahl von Räumen auszuwählen, die das Geschehen in Berlin repräsentieren. Der Schwerpunkt lag auf der Balance zwischen der Nachhaltigkeit eines Raums und seiner Fähigkeit, spontan zu sein und frisch zu bleiben. Ich glaube, wir hatten alle eine Vorliebe für diejenigen, die Risiken eingehen, aber auch für ein Modell, das sich darauf konzentriert, Künstler*innen einzuladen und im Laufe der Zeit etwas gemeinsam mit einem Schwerpunkt auf Qualität zu kuratieren. In den letzten zehn Jahren hat sich die Definition von "Projektraum" in Berlin auf interessante Weise verfeinert, die ihn sozial gestärkt hat, indem sie eine gemeinsame Ethik unter den Räumen etablierte, und auch politisch, indem sie ihn sowohl von Institutionen als auch von Künstlerprojekten abgrenzte und ihn in die Diskussion um die Mietkrise positionierte..
CK: Was sind die fünf wichtigsten Merkmale eines guten Projektraums?
S: Meines Erachtens ist eines der konstituierenden Merkmale die nicht kommerzielle Ausrichtung, wobei natürlich bedacht werden muss, dass das Geld für das Betreiben des Raumes auch irgendwie organisiert werden muss. Hier teile ich die Vorstellung des Netzwerkes, dass das nicht auf Kosten der Künstler*innen oder Nachbarschaft geschehen darf. Die einfache Zugänglichkeit für die Nachbarschaft und die Vermittlung der künstlerischen Angebote sind für mich ebenfalls wichtige Merkmale. Sowie eine flache Hierarchie, das heißt auch die Möglichkeit sich einzubringen und unter den konzeptuellen Rahmenbedingungen des Raumes die Projekte mitzugestalten.
S: Nach der Sichtung der Anträge vermisst Du einen künstlerischen Bereich, eine städtische Gegend oder ein Format, das Du Dir als Projektraum wünschen würdet?
LHW: Projekträume spiegeln auch immer eine Realität. So konnte man beispielsweise gut sehen, dass es kaum Projekträume in Charlottenburg, keinen in Wilmersdorf oder im Grunewald gab und langsam auch immer weniger in Neukölln. Eine große Ballung herrscht aber zum Beispiel im Wedding. Weil der nach wie vor Ecken hat, in denen solche nicht profitorientierten Projekte unterkommen können. Die Verteilung im Stadtraum zeigt eigentlich immer nur die Bewegungen der Gentrifizierung auf. Das ist auch die Stärke der Projekträume und des Project Space Festival. Prinzipiell war ich beeindruckt von der Vielfalt der eingereichten Beiträge und habe mich wirklich über den Mut gefreut, den anscheinend viele in dieser Stadt noch haben, Dinge einfach zu machen und so diese Freiräume lebendig zu halten.
LHW: Wie prekär ist zu prekär?
KB: Prekarität darf nicht nur finanziell betrachtet werden, sondern auch in Bezug auf Zeit, Energie und räumliche Bedingungen, die alle miteinander zusammenhängen. Finanzielle Instabilität ist offensichtlich das größte Problem, und doch kann die Belastung durch kreative Ansätze für kollektives Arbeiten und flexible Formate verteilt werden: Ein Ausstellungsprogramm benötigt nicht die Kontinuität eines Museums, um bedeutungsvoll, es braucht keinen physischen Raum, um für eine Gemeinschaft wertvoll zu sein. Andererseits ist ein prekärer Zustand natürlich nicht ideal, aber er ist oft die Ausgangssituation für viele innovative Projekträume. Wenn ein Projektraum sich in Richtung langfristige Stabilität bewegt - was ein logisches Ziel ist - könnte man darüber nachdenken, wie man die Grunddynamik und Improvisationsmentalität beibehalten kann, die dem oft eine solche Lebendigkeit verleihen. Wie können wir uns in Richtung Stabilität bewegen, ohne zu sehr reglementiert, institutionalisiert oder an die starren Vorgaben der Markenbildung gebunden zu sein, die oft damit einhergehen? Es ist ein schmaler Grat.
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Project Space Festival : Vom 01.-30. Juni 2023 lädt das Project Space Festival ein, 30 kostenfreie Veranstaltungen der freien Projektraum-Szene in Berlin zu besuchen. Mit seinem einmonatigen Programm ermöglicht das Festival einen umfassenden Einblick in die künstlerischen und gemeinschaftlich organisierten Projekträume der Stadt. (projectspacefestival.berlin)
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Ashley Berlin, Soft Politics. With Bitsy Knox, Lilly Pfalzer, Esben Weile Kjær and Kiani Del Valle.
Project Space Festival 2019 – When the hunger starts. © and courtesy Heiko Pfreundt. Photo: Heiko Pfreundt.