„Wir sind die, die eure Reifen wechseln, wir sind die, die eure Brötchen backen..!“, konnte man auf der bisher größten Demonstration gegen die Corona-Politik in Berlin hören. Neben den wütenden Menschen standen halbnackte Pazifisten, aber auch meine Nachbarn*innen; Menschen, mit denen ich dachte, eine gemeinsame Wirklichkeit zu teilen. Aber was an ihrer Vorstellung von Demokratie, Öffentlichkeit, Medien teilen Bürger*innen heute? Was hat die Isolation mit Menschen wie meinen Nachbar*innen gemacht, die bei solchen Protesten seelenruhig neben Rechtsradikalen und ihren Kaiserreichs-Flaggen, zwischen Anhänger*innen der radikal unplausiblen Verschwörungstheorie Q’Anon stehen? Neben Personen also, die gerne "Lügenpresse!", "Diktatur!", "Widerstand!" und "Wir sind das Volk!" brüllen?
An der Siegessäule, an jenem Ort also, wo Wim Wenders einst über die Beziehung zwischen Menschen und Engeln in seinem Fantasy-Film ‚Der Himmel über Berlin‘ träumte, manifestiert sich ein neuer Bruch in der gemeinsamen Wirklichkeit. Und es ist hier, in diesem Loch, an dieser Bruchstelle, wo Christian Jankowski die Krise der basalen Paarung der klassischen Kommunikationstheorie - Sender und Empfänger - untersucht. Diese Krise führt er in der klaren Unvereinbarkeit zwischen Wirklichkeit, Massenmedien und Kunst vor.
Im Zentrum der Ausstellung ‚Sender & Receiver‘, die diesen Herbst bei Fluentum zu besuchen ist, steht seine neueste, gleichnamige Videoarbeit aus diesem Jahr, die gemeinsam mit der Sammlung von Markus Hannebauer und der Bangkok Art Biennale 2020 in Thailand produziert wurde. Darin bietet der Künstler systemrelevanten Arbeiter*innen (die Frage, warum erst jetzt bemerkt worden ist, dass sie systemrelevant sind, und warum hat sich dennoch nichts an ihren Arbeitsbedingungen verbessert hat, sei dahingestellt) eine Plattform in ausgewählten TV-Formaten (unter anderem Fernsehproduktionen des ZDFs, RBBs und AMARIN TVs), um ihre persönlichen Erfahrungen und Eindrücke einer durch die Pandemie veränderten Lebensrealität öffentlich zu teilen. Indem diese Menschen quasi im Deep Fake-Verfahren in diverse Programme reingebeamt werden, entstehen eigenwillige Erzählungen, die für einen kurzen Moment als komplexe, semiotische Schicht über der sonst intakten Welt des alltäglichen Fernsehens verweilen.
Die drei Sphären (Fernsehformate, Kunst und der Alltag von systemrelevanten Menschen) prallen irritierend in diesem Film gegeneinander, und zwar immer wieder, bei jedem Statement der ausgewählten Arbeiter*innen. Jankowskis Inszenierung der Berichterstattung durch sie thematisiert somit Fragen nach medialer und kultureller Repräsentation, sowie dem Potenzial der Kultur als Medium der Geschichtsvermittlung. Hier geht es darum, durch künstlerische Mittel entscheidende gesellschaftliche Funktionsmechanismen zu entlarven.
Infiltrierte Gedanken der also heute Systemrelevanten klingen wie aus einer ungeskriptete Straßenphilosophie, und hier mussten die Straßenzeitung natürlich eine Auswahl treffen, um im Zuge Jankowskis Produktion, den gesellschaftlichen Handlungsrahmen noch mal zu reflektieren. Denn, wie er es darstellt, wirkt das TV als der komplexeste Spiegel unserer Zeit. Eine Maske, hinter die man eine Realität vermutet, oder durchschaut. Jankowski, bekannt für seine hochikonographischen Referenzspiele mit der Kunstgeschichte, platziert, wie alle anderen Unterhaltungskanäle, die Gesundheit und das Lockdown in den Mittelpunkt seiner Praxis, und choreographiert somit einen Totentanz aus Bettlern und Königen, getrieben durch der großen Angst, vom System abgelehnt zu werden. Nur, von welchem?
Eine extreme Nähe zu Menschen – durch die Versammlung von persönlichen Aussagen – erlaubt diese Probe für den Ernstfall. Jankowski behält dabei nicht nur die Verantwortung der Bildproduktion, der Bildersendung, sondern wiederholt ein Ritual, bei dem jeder dabei sein kann. 2020 übersteigt, so meint Jankowski, die Medialität, die 9/11 erzeugt hat, in der die Komplexität der dauernde Präsenz der digitalisierten Welt jeden betrifft. Diese Pandemie ist ein Disaster, das zum Symbolwert von Zwischenmenschlichkeit geworden ist.
- Christian Jankowski
studierte an der Hochschule für Bildende Kunst Hamburg. Jankowski‘s Arbeiten sind in bedeutenden öffentlichen und privaten Sammlungen vertreten und sein Werk wurde weltweit in zahlreichen Einzelausstellungen präsentiert, darunter zuletzt Floating World, @KCUA, Kyoto (2018), Petzel Gallery, New York (2018), Die Legende des Künstlers und andere Baustellen, Haus am Lützowplatz, Berlin (2016), Christian Jankowski. Retrospective, Contemporary Fine Arts, Berlin (2016), Heavy Weight History, CCA Ujazdowski Castle, Warsaw (2013). Christian Jankowski kuratierte als erster Künstler die Manifesta (2016) in Zürich. Er lebt und arbeitet in Berlin.