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Welten erschaffen, Welten organisieren, mit anderen teilen

  • Sep 18 2024
  • Carolina Campos
    (Caxias do Sul, 1978) explores performance, writing, and pedagogy with a focus on collective, collaborative creation. She investigates artistic accompaniment and Real Time Composition with João Fiadeiro, blending practice with philosophy and neuroscience.

In ihrem Text erklärt Carolina Campos, wie Künstler*innen durch das Komponieren neue Welten erschaffen. Komponieren bedeutet, einzelne Elemente wie Bewegungen, Bilder oder Ideen so zu ordnen, dass sie eine einzigartige und faszinierende Welt bilden. Es ist wie ein Puzzle, bei dem man Stücke zusammenfügt, die manchmal nicht sofort zueinander passen. Für Campos geht es beim Komponieren darum, aufmerksam zu sein, um etwas Besonderes zu schaffen, das andere Menschen berührt und zum Nachdenken anregt.

Ich werde mich in diesem Text auf das Konzept der Komposition beschränken, in dem ein Stück (in meinem Fall ein Tanzstück) als eine Einladung zum Aufmerksamwerden verstanden wird. Komposition hat also damit zu tun, einer schwer fassbaren, dunklen Zone, die nur im Zwischen der Dinge stattfindet, Raum zu geben. Aus dieser Perspektive wird mir klar, dass jeder Schaffensprozess eine einzigartige Möglichkeit ist, eine Welt zu schaffen, und dass jede Welt ihre eigene Art hat, sich zu organisieren. Die Beschäftigung mit dem Komponieren ist daher durchaus mit der unvermeidlichen Beziehung zwischen der Frage nach dem Was (den Fragen und Anliegen, die die Motoren der Schöpfung sind), dem Wie (der Beziehung zwischen den Materialien, die diese Anliegen umsetzen) und dem Wann (der Organisation dieser emotionalen Beziehung, die eine Aufforderung zur Aufmerksamkeit ist) verbunden.

Beim Komponieren geht es also darum, sich der Gruppen lebendiger Materialien, in die wir bereits eingetaucht sind, bewusst zu werden, dem Wunsch nachzugehen, Materialien (einschließlich unserer Körper) aus ihrer Trägheit zu befreien, und diese Ereignisse als Einladung an andere Menschen zu organisieren, sich dem Prozess des Aufmerksamwerdens hinzugeben.

Als Schöpferin und auch als jemand, der viele Kunstschaffende bei ihrem Schaffen begleitet, richte ich meine Aufmerksamkeit auf diese einzigartigen Arten, eine Welt entstehen zu lassen, um zu verstehen, welche Art von Organisation und Zusammensetzung jede einzelne Welt erfordert.

Dinge, die nicht miteinander verbunden sind, aber zusammen sein sollten.

Manchmal entsteht eine Welt aus dem Exzess, aus dem Akzeptieren des Lächerlichen, aus dem Herumspielen, bis man an einem unbekannten Ort ankommt. Diese Welt erscheint inmitten von Chaos, von tausend Übungen, Improvisationen, unbestimmten Praktiken, Fragmenten von Gesten. Eine Abfolge von Bewegungen neben einem Objekt, das noch keinen Sinn ergibt, neben einem Blick, der noch ohne Körper ist. Die fehlende Kraft eines Bildes bedeutet nicht, dass es verworfen werden sollte, es ist nur eine Frage des Wartens. Manchmal dauert diese Art des Schaffens bis zum Ende (der fertigen Arbeit). Eine Bewegung, die in den ersten Tagen des Prozesses auftauchte, kann am Tag der Aufführung wieder auftauchen. Wenn das passiert, achte ich darauf, die Ausweitung der Versuche zu unterstützen, und sehe die Komposition als ein rhythmisches Territorium, das die Aufmerksamkeit des Publikums auf sich ziehen wird. In diesen Welten bedeutet Komponieren, verschiedene Materialien nebeneinander bestehen zu lassen, auch wenn sie manchmal nicht miteinander verbunden sind. Es geht um die Schaffung einer rhythmischen Landschaft, einer Partitur der Aufmerksamkeit und der Empfindungen. Ein Loch, eine lange Pause, eine Explosion, eine ablenkende Wiederholung und dann eine Unterbrechung, eine Beschleunigung, eine Überraschung, etwas Vorhersehbares. Komponieren ist eine dynamische Begegnung, eine Organisation von Spannungen. Manchmal gibt es eine sensorische und emotionale Kontamination von einem Bereich zum anderen, manchmal nicht, alles hängt von der Route ab, die wir für die Wahrnehmung des Werks in der Begegnung mit dem Publikum vorschlagen. Diese Reise ist die Übersetzung unserer anfänglichen Fragen in Empfindungen.

Eine Sammlung von Wahrnehmungen

Manchmal erscheint eine Welt aus einer begrenzten Menge von Dingen, aus einer limitierten Anzahl von Bezügen und aus der Verbindung zwischen Welten, die in ihren Abläufen (wenn auch nicht unbedingt in ihren Inhalten) miteinander verbunden sind. So zum Beispiel führt die Existenz eines Leuchtturms, eines Polaroids, zusammen mit einer Aufwärmübung, die zu einem Zustand der Präsenz. In dieser Art von Welt konzentriere ich mich darauf, zu verstehen, wie diese Dinge miteinander verbunden sind. Beim Komponieren geht es darum, zu erkennen, ob diese Dinge ein Beutel sind, der die Konstruktion dieser Welt begleitet, wie ein Amulett, das nie zu sehen sein wird, oder ob jedes Element zu einer Szene, einem Moment im Werk wird. Wenn eine Welt aus einer Sammlung von Eindrücken entsteht, muss man die Funktionsweise jedes Blocks, jedes Materials, jeder Szene respektieren, aber auch eine Architektur schaffen, in der diese Einheiten nebeneinander bestehen können. Als ob es sich um ein Haus handeln würde, ein Haus, das sich ständig verändert, mit Löchern und Wänden, die manchmal hochgezogen werden und manchmal verschwinden. Ein Zimmer am Ende eines Korridors zu platzieren ist etwas völlig anderes, als es neben dem Garten zu errichten, denn es hängt von der Stimmung des Ortes ab, den wir schaffen

In Falten

Manchmal erscheint eine Welt in der Entfaltung der Logik, der Zyklen, die von der Affektivität zur Formulierung und Ausführung führen. In dieser Welt sind die ersten Handlungen im Atelier wie frühere, inoffizielle Ereignisse oder reduzierte Versuche, mit der Fülle der Bilder umzugehen. Die fehlende Kraft eines Bildes führt dazu, dass es zurückbleibt, und es sind die Ereignisse, die die Bilder bestimmen, die bleiben. Die ersten Bemühungen bestehen darin, die minimale Geste, das Ausgangsbild zu finden, und diese Konturen und Begrenzungen können als Ausgangspunkt bezeichnet werden. Die Komposition entsteht, indem man eine Welt bewohnt und sie dauerhaft macht, indem man die ihr eigenen Geschehnisse respektiert. Die Einzigartigkeit der Gesten und die gestalterische Freiheit erscheinen innerhalb der Konturen, die in der anfänglichen Geste gefunden wurden. Es ist eine Welt, die nach innen wächst, nicht zur Seite oder nach außen. Bei dieser Art, eine Welt zu schaffen, achte ich darauf, eine gewisse Besessenheit zu bewahren, indem ich die von mir entdeckten Vorgänge wiederhole, und die Komposition besteht lediglich darin, die Unterschiede zu respektieren, die sich aus diesem Beharren ergeben.

Organische Strukturen

Manchmal entsteht eine Welt aus einer Struktur, einem Skript, einer mathematischen Logik. Eine Welt aus Fleisch und Knochen. Das Fleisch kommt von den Emotionen, von den Wünschen, die in Pläne übersetzt werden, die dem Werk die dramaturgische Richtung geben, in Bilder von einem Ort und seiner Dauer. Das Fleisch stammt von der Arbeit, andere Bilder zu verschlingen, Worte zu verkörpern, Metaphern zu schaffen, Körper mit Fiktionen zu besiedeln. Diese Welt erfindet eine Sprache der Gesten, die eine Struktur bevölkern wird. In dieser Art von Welt achte ich auf zwei Dinge. Erstens darauf, die Körper mit Bildern zu füttern, um aus den Details ihrer Gegenwart zu komponieren, und zweitens darauf, den Rhythmus und die Dauer der zuvor festgelegten Struktur zu verfeinern.

Beharren auf der Geste oder auf dem Zustand

Manchmal entsteht eine Welt aus der Wiederholung einer Aufgabe, aus der Besessenheit von einer Geste, aus der Aufrechterhaltung eines Präsenzzustands, und die Unterschiede zwischen den beiden zeigen sich, wenn die Wiederholung an ihre Grenzen getrieben wird. Ich achte auf die Empfindungen derjenigen, die sehen, wie diese Aufgabe ausgeführt wird. Ich versuche zu verstehen, ob die Unterschiede, die sich aus der Wiederholung der Geste ergeben, ausreichen, um die Aufmerksamkeit des Publikums aufrecht zu erhalten. In dieser Welt besteht die Arbeit der Komposition nicht darin, neue Materialien zu einer Aufgabe hinzuzufügen, sondern mögliche Bezugspunkte, die bereits in der Aktion vorhanden sind, zu identifizieren und zu verstärken. Diese Punkte können als eine Art atmende Geste dienen, die überdauert. Die Suche nach dem Ende der Aufgabe ist oft ein wichtiger Teil der Arbeit. Sie kann durch Erschöpfung enden, aber wenn nicht, muss der*die Künstler*in eine Entscheidung außerhalb der Geste treffen. Dieser Schlusspunkt kann auf der finalen Lesart oder Überarbeitung des Werks basierend definiert werden oder auf der Grundlage der Empfindungen, die das Publikum am Ende der Erfahrung erlebt haben soll.

Eine Praxis teilen

Manchmal entsteht eine Welt aus einer Methode, die zu einer Praxis wird, zu einer Art Spiel, zu einer Reihe von Einschränkungen, die in der Gruppe oder individuell umgesetzt werden können. Eine Partitur, eine Aufgabenliste, eine Reihe von Werkzeugen, die weitergegeben und von anderen wiederverwendet werden können. Wenn Praxis der eigentliche Körper des Stücks ist, kommt es nicht so sehr auf die Formen oder die ästhetischen Ergebnisse an, sondern vielmehr auf die Art und Weise, wie man in dieser Welt agiert. In diesem Fall achte ich auf die entstehenden Regeln, auf die Einschränkungen, die die Fragen, die das Werk vorantreiben, übersetzen, und arbeite daran, sie zu verfeinern und sie nicht auf eine bestimmte Weise herauszukristallisieren.



EN

CREATE WORLDS, ORGANIZE WORLDS, SHARE WITH OTHERS

I will limit this text to the idea of composition in which a piece (in my case, a dance piece) is understood as an invitation to pay attention. Composition, thus, has to do with giving relief to an elusive, dark zone that happens only between things. From this perspective, I understand that each creation process is a unique way of making a world and that each world has its own way of organizing itself. The exercise of composition is, thus, not unrelated to the inevitable relationship between the question of the what (the questions and concerns that are the motors of creation), the how (the relationship between the materials that will translate these concerns), and the when where (the organization of this emotional relationship that is an invitation to pay attention).

Composing, thus, has to do with becoming aware of the groups of vibrant materials in which we are already immersed, listening to the desire to displace materials (including our bodies) from their inertia, and organizing these events as an invitation to other people to join in the act of paying attention.

As a creator, and also as someone who accompanies many artists in their creation, I focus my attention on these unique ways of making a world in order to understand what kind of organization and composition each world needs.

Things that aren’t connected but need to be together

Sometimes a world is created from excess, from accepting the ridiculous, from playing around until one arrives at an unknown place. This world appears in the midst of chaos, of a thousand exercises, improvisations, indefinite practices, fragments of gestures. A sequence of movements next to an object that doesn’t yet make sense, next to a gaze that is still without a body. The lack of power of an image does not mean it should be discarded, it’s just a matter of waiting. Sometimes this way of creating lasts until the end (the finished piece). A piece of movement that appeared in the first days of the process can reappear on the day of the performance. When that happens, I pay attention to promoting the proliferation of attempts and see composition as a rhythmic territory that will attract the attention of the public. In these worlds, composing is making diverse materials coexist even though sometimes they don’t connect. It is the creation of a rhythmic landscape, a score of attention and sensations. A hole, a long pause, an explosion, a distracting repetition and then a break, an acceleration, a surprise, something predictable. Composing is a dynamic meeting, an organization of tensions. Sometimes there is sensory and emotional contamination from one area to another, sometimes not, it all depends on the route that we are proposing for the perception of the work in the encounter with the public. That journey is the translation of our initial questions into sensations.

A collection of sensations

Sometimes a world appears from a limited quantity of things, from a restricted set of references and from the junction between worlds that are connected in their operations (though not necessarily in their contents). The existence of a lighthouse, a polaroid, together with a warm-up practice that leads to a state of presence, for example. In this kind of world, I focus on understanding how these things are connected. Composing implies perceiving if this set of things is a bag that will accompany the construction of this world like an amulet that will never be seen, or if each unit will become a scene, a moment in the work. When a world appears from a collection of sensations, you have to respect the operation of each block, material, scene, but also create the architecture where these units can coexist. It is as if we were talking about a house, a house that keeps changing, riddled with holes and with walls that sometimes rise and sometimes disappear. Placing a room at the end of a corridor is completely different from placing it next to the garden, for it depends on the tone of the place we are creating.

Within folds

Sometimes a world appears in the unfolding of logic, of the cycles that go from being affected to formulation and execution. In this world, the first actions in the studio are like previous, unofficial events or pared-down attempts to deal with the profusion of images. A lack of power of an image causes it to be left behind, and it is the events that inform the images that remain. The first efforts consist in finding the minimum gesture, the initial image, and these contours and limitations can be said to be a starting point. Composition comes from inhabiting a world and making it last, from respecting events. The singularity of gestures and creative freedom appear within the contours found in the initial gesture. It is a world that grows inwards, not to the sides or outwards. Within this way of creating a world, I pay attention to preserving a certain obsession with repeating the operations I discover, and composition is merely respecting the differences that emerge from this insistence.

Organic structures

Sometimes a world appears from a structure, a script, from mathematical logic. A world of meat and bones. The bones comes from emotions, from desires translated into plans that give the dramaturgical direction of the work, into images of a place and its duration. The meat comes from the work of swallowing other images, embodying words, making metaphors, populating bodies with fictions. This world invents a language of gestures that will inhabit a structure. In this kind of world, I pay attention to two things. First, to feeding the bodies images in order to compose from the minutiae of their presence, and secondly, in refining the rhythms and duration of the previously determined structure.

Insist on the gesture or on the state

Sometimes a world appears from the repetition of a task, from an obsession with a gesture, from the maintenance of a state of presence, and the differences appear when this repetition is pushed to its limit. I pay attention to the sensations of those who see how this task is carried out. I try to understand if the differences that arise from the repetition of the gesture are enough to keep my attention as an audience. In this world, the work of composition does not consist in inserting new materials into a task, but rather in identifying and reinforcing possible anchor points that already exist in the action. These points can serve as a kind of breathing gesture that lasts. Finding the end of the task is often an important part of the job. It can end in exhaustion, but when it doesn’t, the artist needs to make a decision outside of the gesture. This stopping point can be defined based on how the work will be read or rewritten at the end or based on the sensations intended for the public to experience at the end of the experience.

Share a practice

Sometimes a world appears from a methodology that becomes a practice, a sort of game, a set of restrictions that can be activated as a group or individually. A score, a task list, a set of tools that can be transmitted and reappropriated by others. When practice is the very body of the piece, it is not so much the forms or the aesthetic results that matter, but rather the ways of operating in that world. In this case, I pay attention to the emerging rules, to the set of restrictions that translate the questions that move the work, and work to refine them and not to crystallize them in any specific way.

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This text was originally published on a-desk.org



  • IMAGE CREDITS

     

    Cover: Illustration by Rafael Frazão. Photo © Carolina Campos.

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