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Der Kapitalismus macht uns alle traurig, ungeduldig und sehnsüchtig

Ein Gespräch mit Conny Maier zu ihrer Ausstellung “Beautiful Disasters”, die am Sonntag, den 03. September 2023 eröffnet.

  • Aug 31 2023
  • Octavia Abril
    ist eine chilenische Schriftsteller*in, die sensibel auf den Lauf der Jahreszeiten reagiert. Ihre Werke gedeihen, beeinträchtigt durch ihre immer wieder neuen Allergien, die sie aufgrund des Klimawandels und industriell verarbeiteter Lebensmittel erleidet, in den Grenzbereichen zwischen Institutionen und Weinbergen. Mit dieser körperlichen Verfassung beschloss sie, Welten und Worte in gefährlichen Küssen zu schaffen. Sie boykottiert Werbung Plakate, ist aber immer für gute Gespräche zu haben.

Die Werke von Conny Maier, die zwischen Berlin und Baleal (Portugal) arbeitet, reflektieren Polaritäten wie Macht und Unterwerfung, Gleichgewicht und Instabilität, das Menschliche und das Nicht-Menschliche. Durch die Darstellung karikaturesker Figuren in extremen Gefühls- und Kampfzustanden werfen Maiers Werke einen schonungslosen Blick auf die Kapitalismus in seiner globalen, allumfassenden Größe, und fragen nicht nur, welche Systeme unserer Gesellschaft überholt zu sein scheinen, sondern auch, wie unsere Zukunft aussehen konnte. Die Langen Foundation präsentiert ihre erste umfassende institutionelle Ausstellung. Kuratiert von Udo Kittelmann, zeigt sie sowohl eigens für diese Ausstellung geschaffene als auch frühere Werke, die stark an der Geschichte der Malerei sowie holistische Fragestellungen der Künstlerin verbunden sind, auf dem Gelände der ehemaligen NATO-Raketenstation bei Neuss.

 

Fangen wir mit dem Ort an.

Es ist ein ganz besonderer Ausstellungsraum, der von seiner ländlichen Umgebung und einem interessierten Publikum lebt. Doch im Mittelpunkt der kuratorischen Linie steht eine kritische Auseinandersetzung mit dem, was Malerei sein kann. Schon geil.

Der Titel der Ausstellung – Beautiful Disasters – ist sehr metaphorisch. Zu welcher Ebene gehört das, was du gerade beschrieben hast: dem Schönen oder dem Desaströsen?

Ich war mit keiner dieser Ebenen einverstanden, aber Udo Kittelmann hat vehement auf der Etymologie des gemalten Bildes beharrt und ich gab irgendwann nach. Diese Begriffe stören mich, aber angesichts der Ambivalenzen heutiger malerischer Arbeit lohnt es sich, sie hervorzuheben.

Ich sehe auch die inhaltlichen Widersprüche überall in deinen Gemälden. Sie sind Teil jeder Szene.

Ich stimme dir zu. Widersprüche sind meistens die Grundlage meiner Bilder. Die Arbeit braucht diesen Prozess, sonst ist es vielleicht am Ende zu eindimensional.

Kannst du das näher erklären?

Ich fange immer durch ein Farbspektrum an zu malen, dann kommt der Rest. Und je länger man* sich das anguckt, desto gruseliger oder hässlicher soll es werden. Jedes nachkommende Detail öffnet dann noch eine Tür – das finde ich wichtig, damit es eben nicht nur irgendwie ein schönes Arrangement an Farben ist. Hier sollen Fragen beantwortet werden, die nur durch Malerei entstehen. Nun gut, im Idealfall.

Was du hier sagst, lässt mich sofort an eines deiner Bilder denken, das diese Ausstellung ausmacht, nämlich "Die Freude am Teilen oder Freundschaft". Man* sieht eine sitzende Figur, die den Kopf auf einen Tisch legt. Der Rücken beugt sich komisch, die Augen verstecken sich hinter zwei Farbflecken, der Mund steht karikaturesk offen, wie bei fast allem deinen Figurendarstellungen. Die Kippe, die gleich aus dem Mund fällt, lässt die Erschöpfung durchblicken. Worauf möchtest du hinaus?

Auf der Figur in diesem Bild liegt eine schwere Last.

Das Bild zeigt somit nicht nur ein Unbehagen, sondern auch das universelle Bedürfnis von Verbundenheit. Die Arbeit scheint aber auch etwas Serielles zu haben. Man erwartet, dass noch etwas anderes kommt. Und dabei denke ich sofort an – ich mag das folgende Beispiel nicht, aber gut – Picassos blaue Periode. Die Gemälde dieser Phase scheinen alle durch eine ganz eigene Atmosphäre verbunden zu sein.

Er musste in dieser Phase ja auch seine Trauer verarbeiten.

Es waren Zeiten der Unsicherheit. Eine klare Instabilität, die er von innen nach außen projiziert hat, obwohl er sich auf die Kunstgeschichte stützen konnte. Danach wurde er völlig asozial in der Abstraktion; gewaltsam und absichtlich inkohärent.

Also ich möchte mich nicht mit Picasso vergleichen, aber wenn er danach diese Phase abgeschlossen hat, dann würde ich sagen, dass es auf jeden Fall eine ehrliche Suchphase war. In diesem Bild erkenne ich meine Sehnsucht wieder, in die richtige Richtung zu gehen. Deswegen ärgere ich mich, dass ich es nicht behalten habe. So ist es, wenn man* in prekären Umständen arbeiten muss.

 

fig.1

 

Wem gehört dieses Gemälde jetzt?

Ich habe es an einen Freund verkauft und der hat es dann, glaube ich, an einen ehemaligen Freund weitergegeben, der es später verschachert hat. So viel zum Teilen und zur Freundschaft.

Die Augen, wie bei vielen deiner Bilder, geben einen Einblick in einen tief dunklen Abgrund.

Sie sind kein Spiegel der Seele, sondern eher ihr Staubsauger.

Das klingt nach etwas, das im Ausstellungstext ein “grundsätzliches Misstrauen der Vernunft im 21. Jahrhundert” genannt wird. Misstrauen in Bezug auf was?

Die Geschichte.

Welche Rolle spielt die für dich?

Ich würde sagen, die Vernunft hat eigentlich nur die Literatur ins Spiel gebracht. Alles andere ist eine totale Übersteigerung und Überschätzung der Europäer*innen gegenüber dem Rest der Welt. Die Pandemie hat das große Ganze, die Wahrheit, ja die Wissenschaft, die Expert*innen und so weiter komplett dekonstruiert. Alles was zu groß geworden ist, muss jetzt sehr viel kleiner gesprochen werden.

Deine Figuren wurden immer größer.

Die platzen fast aus den Bildern raus.

Das gefällt mir so sehr an ihnen.

Sie hatten vorher große Köpfe und mittelgroße Körper, jetzt hat sich das total verdreht. Jetzt haben sie riesige Körper und ganz kleine Köpfe.

Wie kommen diese Maße zusammen?

Auf die Leinwand sollen sie im Prinzip dieses gewaltige Totale übersteigen. Wenn ich sie mir in der Realität vorstellen würde, wären das lauter eigenartige Personen, die durch meine Landschaften stapfen und sie zerstören. Das klingt ungeschickt, aber so sollen sie sein.

Zielst du mit der Frage der Totalität eigentlich auf den Sinn der Malerei heute?

Das wäre schön, aber ich würde mich nicht trauen.

Warum nicht?

Was ist denn eigentlich der Sinn der Malerei: die Analyse des Status quo und vielleicht der Blick in die Zukunft? Das ist schon viel gewollt.

Wenn nicht an ihren Sinn, denkst du an ihre Zukunft?

Ich versuche, auch nicht an die Zukunft zu denken. Wie wird sich die Gesellschaft entwickeln? Was wird übrig bleiben? Was wird sich ändern? Das Totale und die große Richtigkeit stehen uns im Weg, glaube ich, um auf verschiedene Lösungen zu kommen.

 

fig.2

 

Diese Fragen sehe ich in deinen bukolischen Situationen widergespiegelt, die gleichzeitig ja eher apokalyptisch aussehen. Die großen Landschaften haben gleichzeitig etwas von erdigen Schlachten und strahlenden Freudenschreien. 

Das führt zurück zu dem Umfeld, das mich geprägt hat. Meine Großeltern führten ein ländliches osteuropäisches Leben. Ihre Feldarbeit, ihr Staub, ihr Schweiß vereint ihren Körper mit allen anderen Bäuer*innen, mit denen sie gearbeitet haben. Für mich ist es ein schöner Ansatz, dass sie diese Gleichheit eigentlich über alles stülpen lässt. Ich glaube, das ist die Wurzel meiner Figuren. Aber das kann sich auch wieder ändern.

Wie?

Mit einer Verarbeitung der ostdeutschen Geschichte. Allein die Lebensweise, die Lebensumstände, die Umstände in der Diktatur hatten teils schöne, teils absurde Folgen für den Alltag. Aber meine Vorstellung dieser Zeit ist natürlich nur das Gegengewicht zu der Welt, in der ich aufgewachsen bin. Es ist Persönliches und nichts Theoretisches. Aber es war vielleicht wichtig für die Welt, dass es zwei gegensätzliche Systeme gab, und dass sie heute nicht mehr sind. Seit die UdSSR implodierte, könnte man ja sagen, dass der Westen nicht mehr beweisen kann, dass er das bessere System ist. Damit verschwand aber auch die Möglichkeit eines Sozialsystems, das die Gesundheit und Bildung der Menschen sichert. Heute muss nicht mehr bewiesen werden, dass dieses Sozialsystem von einer schlechteren Variante ersetzt wurde. Und die Art und Weise, wie Menschen miteinander umgehen, wie sie mit der Natur umgehen, ist ein Produkt dieses Ungleichgewichts. Die Welt braucht einen starken Widerspruch zum kapitalistischen System, damit sie ins Gleichgewicht zurückkehrt.

Der Kapitalismus macht ja uns alle traurig, ungeduldig und sehnsüchtig nach dieser Lösung.

Im Prinzip machen aber Menschen, die an die Macht kommen, immer dieselben Fehler.

Sobald es autoritär wird und die Macht nicht geteilt werden kann, ist es fragil. Was mich zu The Source führt, die du zuletzt bei Unlimited-Ausstellung der Art Basel gezeigt hast.

Da spielt die Person mit den vier Brüsten im Hintergrund eine entscheidende Rolle. Sie gießt das ganze Bild mit Wasser oder mit einer Flüssigkeit, die lebensspendend sein kann. Im Vordergrund sehen wir die Protagonist*innen des Bildes, aber die Figuren agieren nicht miteinander. Jede*r hat ihre*seine Sache am Laufen. Die Szene ist also vielleicht noch eine Reminiszenz an die Pandemie, es herrschen Panik und Euphorie. Die einzige, die darüber schwebt, ist diese Person mit den vier Brüsten. 

Wie ein Alien. Das sind ja Wesen, die jenseits des Binären existieren. Es handelt sich um Figuren, die eine konstruierte Vorstellung verkörpern. Ich weiß nicht, ob du Octavia Butlers Imago gelesen hast, aber wie dort die Versklavung Schwarzer Menschen verarbeitet wird, ist für mich die beste Form von Science Fiction. Butler und ihre Aliens zeigen auch, dass die Angst vor “Fremden” die eigentliche Katastrophe ist. Ist das auch eine Frage, die du dir mit deinen Figuren stellst?

Ich frage mich eher, was die Idee des Menschseins ist. Eigentlich ist es das Archaische, was uns auszeichnet. Egal, wie weit Wissenschaftler*innen sind, die Gesellschaft braucht immer noch viel zu lange, um überhaupt schlau zu agieren. Es sind ja alles immer nur kurzfristige Lösungen, die als Heilsbringer gelten. Künstliche oder genmanipulierte Pflanzen zum Beispiel bringen vielleicht mehr Ertrag, aber weil der natürliche Kreislauf gestört ist, sterben die Insekten. Oft wird das Gute gewollt, aber das Schlechte erreicht – weil die großen Lösungen nicht gut genug durchdacht werden können. Wir sind einfach nicht schlau genug.

Die Technologien sind da, die Rechte sind auch da. Warum kann das eine nicht einfach mit dem anderen zusammenkommen? Und dabei denke ich an Leute, die einen Schrecken empfinden beim Gedanken daran, wozu der menschliche Körper fähig ist: dass ein als männlich geltend geborener trans Körper jetzt auch Kinder gebären kann. Das erzeugt Polarisierung, Widerstand und Abscheu. Deine Figur mit den vier Brüsten scheint zunächst nur ein oberflächlicher Kommentar zu sein. Aber sie sieht doch fantastisch aus und genießt eine gewisse Freiheit, die es letztendlich in dieser Welt so nicht gibt.

Noch nicht.

 

“Beautiful Disasters” läuft bis zum 07. April, 2024 in der Langen Foundation.

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  • IMAGE CREDITS

     

    Cover: Conny Maier, Monte verità, 2022. Courtesy of the artist and Société, Berlin. 

    fig. 1 Conny Maier, Abzählen, 2023. Courtesy of the artist and Société, Berlin. 

    fig. 2 Conny Maier, Zorn 1, 2023. Courtesy of the artist and Société, Berlin. 

     

     

     

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